10.September: Welttag der Suizidprävention

Veröffentlicht am 9. September 2025 um 18:50

Anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10. September 2025 wurde Herr Prof. Dr. Konrad vom Bündnis gegen Depression Rotenburg e.V. in einem Interview zum Thema befragt. Das Interview führte Stefanie Schmidt.

Stefanie Schmidt: Herr Prof. Dr. Konrad, seit 2003 gibt es den Aktionstag zur Prävention von Suizid. Sie als Leiter Chefarzt des Zentrum für Psychosoziale Medizin am AGAPLESION DIAKONIEKLINIKUM ROTENBURG haben mit dem Thema Suizid regelmäßige Berührungspunkte. Beobachten Sie in den vergangenen Jahren eine Veränderung wie etwa bei der Zunahme von psychischen Erkrankungen auch bei suizidalen Handlungen? 

Prof. Dr. Konrad: Das Thema Suizidalität spielt in vielen Krisen und psychischen Erkrankungen eine Rolle und ist deswegen im Zentrum für Psychosoziale Medizin ein häufiges Thema im Gespräch zwischen unseren Patient:innen und uns. Wir sprechen von Suizidalität, wenn es um Gedanken zum Thema Selbsttötung geht, und von Suizid, wenn jemand durch eigene Hand verstirbt. Glücklicherweise ist es im Langzeitverlauf betrachtet anders als Sie vermuten. Die Anzahl Suizide in Deutschland hat seit den 1980ger Jahren etwa halbiert und liegt aktuell um 10.000 Suizide pro Jahr. Das ist etwas höher als der Tiefststand von 9.000 in den Jahren 2019 -2012, aber ob das eine Schwankung oder ein Trend ist, ist noch unklar. Männer sind etwa zweieinhalb Mal  häufiger von Suizid betroffen als Frauen. Die Suizidgefahr steigt mit dem Alter, ab dem 70. Lebensjahr sogar drastisch an. Entscheidend ist für mich, dass die Suizidprävention und verbesserte Behandlungsmöglichkeiten es geschafft haben, die Anzahl Suizide seit den 1980ger Jahren so deutlich zu verringern.

Stefanie Schmidt: Welche drei Vorurteile zum Thema Suizid möchten Sie unbedingt aus der Welt geschafft sehen?

Es gibt deutlich mehr als drei Vorurteile um Thema Suizid und am liebsten würde ich alle aus der Welt schaffen, aber dafür reicht die Seitenzahl heute nicht. Das wichtigste wäre mir zu vermitteln, dass Ansprechen von Suizidgedanken die Gefahr eines Suizides nicht erhöht, sondern dass Sprechen über Suizidalität den Betroffenen hilft, andere Auswege aus ihrer Lage zu finden. Denn Suizidgedanken sind für die allermeisten Menschen schrecklich und quälend, sie rufen diese nicht absichtlich herbei, sondern sie werden von diesen Gedanken überflutet. Sehr häufig als Ergebnis von Verzweiflung oder von Erkrankung. Die Betroffenen sind sehr erleichtert, wenn jemand zuhört und sie ernst nimmt. Sehr häufig versuchen Menschen mit Suizidgedanken von sich aus, ein Gespräch über diese Thema zu führen. Das Vorurteil, „wer darüber spricht tut es nicht“ ist völlig falsch, die meisten Menschen geben vor Suizidversuchen Hinweise oder eine Ankündigung, die man ernst nehmen sollte. Ich halte es weiterhin für ein Vorurteil, dass Suizide überwiegend Ausdruck des freien Willens sind. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die größte Anzahl Suizide im Rahmen einer psychischen Erkrankung vorkommt. Im Rahmen dieser psychischen Erkrankungen, mit denen wir im Zentrum für Psychosoziale Medizin täglich zu tun haben, werden die Menschen von Suizidgedanken unfreiwillig überflutet, leiden unter ihnen, wehren sich gegen sie, haben aber Schwierigkeiten, ohne Hilfe eine alternative Lösung zu finden. Sie sind außerordentlich dankbar, wenn es durch Behandlung der psychischen Erkrankung gelingt, diese Gedanken loszuwerden.

Stefanie Schmidt: Auch Suizid ist ein Tabuthema. Würde es helfen, das Tabu aufzulösen und gibt es, wenn ja, einen Weg dafür?

Prof. Dr. Konrad: Tabus mögen es nicht, wenn man über sie redet. Wir reden jetzt über das Thema, das hilft schon. Das ist für mich der richtige Weg. Es kommt hundertfach täglich vor, dass Menschen über Suizid nachdenken, also wäre es unrealistisch so zu tun als gäbe es das Thema nicht oder als wäre irgendetwas dabei, darüber zu sprechen. Vorsichtig und behutsam, denn es gibt auch den sogenannten Werther- oder Nachahmer-Effekt, wenn unbedacht oder verherrlichend darüber gesprochen wird.

Stefanie Schmidt: Was denken Sie, ist die wichtigste Botschaft, die zum Welttag der Suizidprävention in die Öffentlichkeit gebracht werden muss?

Prof. Dr. Konrad: Die wichtigste Botschaft ist meiner Meinung nach, dass Suizidgedanken am allerhäufigsten Ausdruck eines veränderbaren psychischen Zustandes sind. Ich will das gar nicht immer Erkrankung nennen, weil das schon wieder so ausgrenzt. Die Betonung liegt auf veränderbar. Der Betroffene kann etwas tun, seine Bezugspersonen können etwas tun, wir Profis können etwas tun. Die Äußerung von Suizidgedanken seitens der Betroffenen und das Zuhören und Ernstnehmen seitens der Nichtbetroffenen sind die ersten Schritt in Richtung Unterstützung und Hilfe.

Stefanie Schmidt: Haben Sie Vorstellungen, welchen Beitrag jeder einzelne in der Gesellschaft leisten könnte, um an einer Stärkung der Suizidprävention mitzuwirken?

Prof. Dr. Konrad: Jeder von uns sollte aufmerksam und sensibel mit dem Thema umgehen und beispielsweise versuchen, Signale seiner Mitmenschen wahrzunehmen, nachzufragen, sich gesprächsbereit zu zeigen. Nicht abzuwerten oder zu bagatellisieren. Man kann über Themen wie psychische Belastungen, Einsamkeit oder auch Suizidgedanken sprechen. Vom Seiten des Vereins „Bündnis gegen Depression im Landkreis Rotenburg (Wümme) e.V.“ würden wir uns natürlich freuen, wenn das Engagement darüber hinausgeht und in eine aktive Mitarbeit in unserem Verein mündet, dessen Ziel u.a. Öffentlichkeitsarbeit, Entstigmatisierung und Suizidprävention ist. In einem vom Land Niedersachsen aus EU-Geldern geförderten Projekt „wegbegleiter.de“ unseres Vereins gibt es sehr konkrete Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren.

Stefanie Schmidt: Gibt es Wünsche, die Sie als Chefarzt hinsichtlich Suizidprävention an die Politik haben?

Prof. Dr. Konrad: Eine Stärkung der Suizidprävention ist sinnvoll und unbedingt erforderlich. Ich bin froh, dass die Politik bereits eine Nationale Suizidpräventionsstrategie vorgelegt hat, in der wichtige Punkte wie Aufklärung, Beratung und der Ausbau psychosozialer Hilfen verankert sind. Zu fordern ist aber weiterhin, dass Suizidprävention finanziell sichergestellt werden sollte, z.B. durch ein Gesetzt zur Suizidprävention. In der Ärzteschaft gibt es weiterhin eine große Sorge davor, dass assistierter Suizid zum „Normalfall“ werden könnte. Die Menschen müssen davor geschützt werden, einem gesellschaftlichen Druck zum assistierten Suizid nachzugeben, übereilte oder nicht selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Stefanie Schmidt: In der Woche der seelischen Gesundheit sind Sie Mitveranstalter von Theateraufführungen im LK Rotenburg. "All das Schöne" befasst sich mit Depression. Welche Erwartungen verbinden Sie mit diesem kulturellen Angebot?

Prof. Dr. Konrad: Das Bündnis gegen Depression im Landkreis Rotenburg (Wümme) e.V. freut sich darauf, mit unseren Kooperationspartnern Tandem e.V. und GESO gGmbH und unterstützt durch die Sparkasse Rotenburg Osterholz in der Woche der seelischen Gesundheit dieses „umwerfend komisches Stück über Depression“ präsentieren zu können. Ich erwarte, dass ein kulturelles Angebot auch Menschen anspricht, die sich sonst nicht aktiv für das Thema interessieren, dass es damit der Entstigmatisierung und Enttabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit dient und dabei hilft, die Schwelle zur Hilfesuche von Betroffenen zu senken.

"All das Schöne"

„ALL DAS SCHÖNE“, so der Titel eines lebensbejahenden Theaterstücks über ein todernstes Thema von Duncan Macmillan, präsentiert vom Theater der Liebe aus Freinsheim und Beitrag eines lokalen Bündnisses im Landkreis zur diesjährigen Woche der seelischen Gesundheit.
Unter Federführung des Bündnisses gegen Depression im Landkreis Rotenburg / Wümme und in Kooperation mit dem TANDEM – soziale Teilhabe gestalten e.V. sowie der
Gesellschaft für soziale Hilfen (GESO) hat sich vor Ort ein lokales Bündnis gebildet, welches mit Unterstützung der Sparkasse Rotenburg - Osterholz im Oktober eine „Theater-Tour“
durch den Landkreis organisiert.

Eintritt: 15 Euro
Ticketreservierungen und weitere Informationen für alle Aufführungen: anmeldung@tandem-brv.de

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